Biblische Erzählfiguren oder auch Biblische Figuren sind etwa 30 cm große bewegliche Figuren aus speziell für sie angefertigten Sisaldrahtgestellen, die den Figuren ihre Beweglichkeit ermöglichen, und Bleifüßen, die ihnen zugleich eine hohe Standfestigkeit verleihen. In der Schweiz in den 60er Jahren begonnen und in den 70er Jahren weiterentwickelt, waren die Figuren zunächst als Krippenfiguren gedacht und fanden dort rasch weite Verbreitung, die sich in den 80er Jahren auch auf Deutschland ausdehnte.

 

In der "Bibelgalerie" von Meersburg am Bodensee, einer Erlebnisausstellung rund um die Bibel, begegnete ich 1988 den Biblischen Erzählfiguren zum ersten Mal. Stärker als der erste optische Eindruck war jedoch die Erfahrung, wie mit den Figuren gearbeitet werden kann, die mir 1990 eine Veranstaltung im Rahmen des Katholikentages in Berlin vermittelte.

 

Die große Beweglichkeit ermöglicht den Figuren nahezu jede nur erdenkliche Körperhaltung anzunehmen. Daraus resultiert eine beeindruckende Körpersprache. Es war ein faszinierendes Erlebnis, einen durchaus bekannten Bibeltext in einzelnen Szenen mit den Biblischen Erzählfiguren nachzustellen, denn das gemeinsame Nachdenken über das Aufstellen der Figuren veranlasste dazu, viel tiefer als gewohnt in den biblischen Text einzudringen, zwischen den Zeilen zu lesen, Überlegungen anzustellen zu Reaktionen und Gefühlen der Personen, die im oft eher sparsam und nüchtern geschriebenen Bibelwort so gar nicht zum Ausdruck kommen.

 

Da diese Figuren nicht käuflich erworben werden konnten und auch das Material nicht im üblichen Handel erhältlich war, stand nach dem Erlebnis in Berlin mein Entschluss rasch fest, einen Kurs zur Herstellung dieser Figuren zu besuchen, wofür ich damals noch bis Süddeutschland fahren musste. Drei Figuren stellte ich im Herbst 1990 an einem ersten Wochenende her, jeweils vier weitere in zwei weiteren Kursen in den beiden Folgejahren. Erst 2001 folgte die Herstellung des von mir lange gewünschten Esels, der nun - wie im Bild oben zu sehen - zusammen mit den anderen Figuren meinen Wohnzimmerschrank ziert, sofern sie nicht anderweitig in Gebrauch sind.

 

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Das Absolvieren des ersten Figurenkurses während meiner Referendariatszeit (gemeinsam mit einer Freundin, deren Figuren ich mir dann ausleihen durfte) legte natürlich nahe, die Figuren in meinem Examen einzusetzen, was sich als sehr erfolgreich erwies und was ich hier kurz skizzieren möchte, um einen Einblick in eine der vielfältigen Möglichkeiten, mit Biblischen Erzählfiguren zu arbeiten, zu ermöglichen.

 

Ich gestaltete in einer 5. Klasse eines Gymnasiums eine Unterrichtseinheit zum Thema: "Sprechen mit Gott - Probleme und Lösungsmöglichkeiten im Umgang mit dem Bittgebet". Wir hatten bereits erarbeitet, dass Gott offenbar nicht wie eine Wunscherfüllungsmaschine funktioniert, und dafür bereits anhand anderer Materialen zwei mögliche Gründe herausgefunden: a) dass Gott nicht für uns einspringt, wenn wir unsere Pflicht nicht tun, und b) dass manches, worum wir bitten, eventuell gar nicht gut für uns ist. Einen dritten und vierten Grund wollte ich im Zusammenhang mit der biblischen Geschichte von Hiob gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern erarbeiten.

 

Bereits vor meiner Examensstunde lernten die Schüler die Biblischen Erzählfiguren kennen. Ein paar Übungen zum Umgang mit deren Beweglichkeit folgten, indem wir verschiedene Körperhaltungen und auch Stimmungen (z.B. fröhlich, traurig) nachstellten. Schnell konnten die Schüler für ihre erste Beobachtung ("Die haben ja gar kein Gesicht!") selbst die richtige Erklärung finden: "Man weiß ja sonst gar nicht, ob der Mund so [Schüler zeichnet mit dem Finger einen lächelnden Mund in die Luft] oder so [Schüler zeigt einen weinenden Mund an] sein müsste!" Tatsächlich lässt das Fehlen des Gesichts bei den Figuren dem Betrachter alle Phantasie, und die Befindlichkeit der Person kann allein durch ihre Körperhaltung sehr gut zum Ausdruck gebracht werden.

 

Ebenfalls schon vor der Examensstunde lernten wir gemeinsam den Refrain eines Liedes über Hiob: "Wenn Großvater Hiob Geschichten erzählt" von Hella Heizmann. Dass dieses Lied die Geschichte des Hiob aus der Retrospektive erzählt, veranschaulichten wir durch eine Figur am Rand der Szene, die den erzählenden Großvater zeigt, der von sich selbst erzählt, als er noch jung war:

 

 

Die Schülerinnen und Schüler erfuhren auch bereits, dass Hiob ein frommer Mann war, Frau und Kinder hatte und ein reicher Großgrundbesitzer war, der viele Herden von Schafen, Rindern, Kamelen etc. besaß und demzufolge auch Knechte hatte, die ihm dienten:

 

 

In der Examensstunde wurden zu Beginn erst noch einmal der Refrain des Liedes und das bisher über Hiob Gelernte wiederholt sowie die Figuren wieder wie in der letzten Stunde angeordnet. Dann sang ich den Schülerinnen und Schülern die erste Strophe des Hiob-Liedes vor, die davon berichtet, wie Hiob durch das Unglück, das ihn ereilt, alle Herden, Knechte und Kinder verliert. Die Schüler veränderten daraufhin die Szene, indem sie überlegten, wie sich Hiob nun wohl gefühlt haben muss:

 

 

Gemeinsam überlegten wir auch, was Hiob in dieser Situation wohl gebetet haben mochte - dass er vermutlich darum gebetet haben dürfte, dass es ihm wieder besser gehen möge, er seine Herden zurückbekäme etc.

 

Nun veränderte ich die Figuren-Szene und ließ sie von den Schülern beschreiben und interpretieren - offenbar geht es Hiob nicht besser, denn er ist noch trauriger, und auch seine Frau tröstet ihn nun nicht mehr, sondern wendet sich von ihm ab:

 

 

Ich sang den Schülerinnen und Schülern nun die zweite Strophe des Hiob-Liedes vor, sodass sie erfuhren, dass Hiob sehr krank wurde und sogar seine Frau nichts mehr von ihm wissen wollte. Offenbar wurde also das Gebet Hiobs nicht erhört, was einmal mehr bestätigt, dass Gott nicht wie eine Wunscherfüllungsmaschine funktioniert.

 

In der nächsten Phase erhielten die Schüler ein Arbeitsblatt mit der Überschrift: "Hiob erinnert sich an Abraham". Die Person Abrahams war den Schülerinnen und Schülern bereits aus einer früheren Unterrichtseinheit vertraut. Auf diesem Blatt nun waren zwei kurze Begebenheiten aus dem Leben Abrahams geschildert, und zwar jeweils verbunden mit der zu beantworteten Frage, OB, und wenn ja, WIE Gott Abrahams Gebet im jeweiligen Fall erhört hat.

 

Die erste Geschichte lautete: Abraham und Sara baten Gott um Kinder, doch sie bekamen keine. Erst als beide schon sehr alt waren, bekamen sie doch noch ihren Sohn Isaak. Hier war hinsichtlich der möglichen Gründe, weshalb Gott nicht wie eine Wunscherfüllungsmaschine funktioniert, herauszufinden, dass c) Gott manche Gebete erst zu einem späteren Zeitpunkt erhört. Die zweite Geschichte: Abraham wusste, dass Gott die Stadt Sodom zerstören wollte. Abraham betete, dass Gott die Stadt nicht zerstören sollte, weil sein Neffe Lot dort wohnte. Gott zerstörte die Stadt trotzdem, aber Lot wurde gerettet. Hier war zu entdecken, dass d) Gott manche Gebete in einer anderen Art und Weise erhört, als wir uns das gedacht haben.

 

Nach einer kurzen Arbeitsphase wurden diese Ergebnisse zusammengetragen und an der Tafel festgehalten. Die dritte Strophe des Hiob-Liedes gab schließlich Auskunft über das Ende der Geschichte: Offenbar hat Hiob an Gott festgehalten (vielleicht, weil er sich an Abraham erinnerte?), und schließlich wird sein Gebet doch noch erhört, indem er am Ende alles sogar doppelt zurückerhält. Hiobs Vertrauen auf Gott, obwohl dieser nicht wie eine Wunscherfüllungsmaschine funktioniert, wird also am Ende belohnt. Die Schülerinnen und Schüler veränderten die Figuren-Szene entsprechend:

 

 

Sie brachten auch Hiobs Fröhlichkeit und Dank gegenüber Gott zum Ausdruck, die sich auf den erzählenden Großvater Hiob ausweiten lassen:

 

 

Einem nochmaligen gemeinsamen Singen des kompletten Liedes folgte eine Hausaufgabe: Die Schüler erhielten den Liedtext als Lückentext, verbunden mit einem Silbenrätsel, sodass es ihnen nicht schwer fiel, aus Gedächtnis und Kombination der Silben die Lücken zu füllen.

 

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Diese Hiob-Geschichte in der 5. Klasse ist nur ein Beispiel von unendlich vielen Möglichkeiten, wie die Biblischen Erzählfiguren gewinnbringend einsetzbar sind. Und der Kreis der Adressaten beschränkt sich keineswegs auf Kinder. Ich habe die Figuren auch schon erfolgreich in der Arbeit mit erwachsenen Schülern eingesetzt, wobei es durchaus manchmal geschehen kann, dass ausgerechnet im Unterricht sonst sehr stille Schülerinnen oder Schüler im Umgang mit den Figuren geradezu aufzublühen beginnen.

 

Interessant schließlich war für mich, im Rahmen des letzten von mir absolvierten Kurses noch einen anderen Arbeitsansatz kennen zu lernen, der die Figuren nicht auf biblische Personen einschränkt, sondern verstärkt die eigene Identifikation  mit der Figur anstrebt und so z.B. unterstützend in einer therapeutischen Arbeit wirken kann.

 

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Nachtrag: Im September 2004 besuchte ich zusammen mit einer Freundin im Schwarzwald einen weiteren Figuren-Kurs - hier das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit:

 

 

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Zu den Biblischen Erzählfiguren sind mittlerweile auch mehrere Bücher erschienen, z.B.:

 

Anneliese Hecht, Kreatives Arbeiten mit Biblischen Figuren, Stuttgart 1998 (Katholisches Bibelwerk e.V. - vielleicht dort noch erhältlich)

 

Claudia & Stefan Alsenz, Arbeitsbuch Biblische Erzählfiguren, Wuppertal 1999 (gute Anregungen zum Einsatz der Figuren)

 

Desideria Antweiler & Gerti Grillmaier, Auf Lebensspuren mit Figuren, München 2000 (stärker therapeutischer Ansatz)

 

Winfried Dalferth, Und er rührte sie an..., Stuttgart 2001 (enthält detailliert die geschichtliche Entwicklung der Figuren)

 

Birgit Bek & Paulin Link, Glauben erfahren und ausdrücken, München 2002 (mit vielen Praxisbeispielen)

 

Gertrud Brem & Lioba Hein, Glauben ins Spiel bringen, Ostfildern 2003 (Hintergründe und konkrete Modelle zur Bibelarbeit)

 

Rainer-Matthias Müller & Mark Brommenschenkel, Adam, wo bist du?, Mainz 2004 (mit Farbfotos auf CD-ROM)

 

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Weitere Auskünfte geben auch folgende Websites:

 

https://www.abf-ev.de

 

http://www.lea-erzaehlfiguren.de 

 

 

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Buch zur Website:

Fortsetzungen hier:
2016 und 2019!

Musik zur Website: